Original: Klangmassstab  

 

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Liebe Musikfreunde

 

Hier habe ich einen schönen und ehrlich geschriebenen Gedankensanstoß für alle Leidensgenossen zum Thema Musik und deren unverfälschter Wiedergabe. 

Erschienen bei der Publikation FIDELITY
wagt es diese inzwischen hinsichtlich ihrer Berichte, über den Tellerrand
hinaus zu schauen und manchen Dingen wie z.B. die aktuelle Preisgestaltung im
High-End-Bereich oder der eigentlichen Philosophie der hochwertigen
Musikwiedergabe bei uns "infizierten Endnutzern" mal kritisch zu
hinterfragen. Viele trauern noch hinsichtlich der Berichterstattung Klaus Renners Publikation "Das Ohr"
aus den 80er und 90er Jahren nach. Hier scheint inzwischen nach und nach etwas
vergleichbares zu entstehen. Das finde ich persönlich wirklich klasse!

 

Viel Spaß beim Lesen und "darüber nachdenken"!

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Das Original als Klangmassstab

Fragt man einen Audiophilen‚ wo die stetige Optimierung seiner Musikanlage hinführen soll‚ so nennt er meist ein hehres Ziel: die perfekte Reproduktion des Originals in den eigenen vier Wänden. Das ist ebenso naheliegend wie unsinnig.

von Dieter Strecker, Illustration: Florian Schäfer

 

 

Highender haben übersinnliche Fähigkeiten. Ohne bei einer Musikaufnahme dabei gewesen zu sein, wissen sie exakt, wie deren Wiedergabe zu klingen hat. Dieses Scheinwissen verbreiten Sie fanatisch und mit stetig wachsendem missionarischem Eifer unter Gleichgesinnten. Alternative Meinungen werden nicht geduldet, schließlich geht es um den Erhalt eines Kulturgutes. Da ist Toleranz fehl am Platz.
Ist der Audiophile tatsächlich einmal bei einer Aufnahme anwesend und sein akustisches Gedächtnis versagt nicht, hilft ihm das auch nicht weiter. Das Tonsignal wurde nämlich hinterhältigerweise bereits vor der Aufnahme vom Toningenieur manipuliert – das Original ist also gar nicht mehr original. Pech!
Parameter wie Raumtemperatur, Geruch, Sitzkomfort usw. wurden erst gar nicht aufgezeichnet, obwohl sie entscheidenden Anteil am Live-Erlebnis haben. Auch negativen. Soll die Pogo tanzende Horde zu Hause wirklich wiederauferstehen?
Warum zerbreche ich mir hier eigentlich Ihren Kopf? Wo doch alles so schön rund läuft, wo doch alle Beteiligten so schön zufrieden sind.
Sie sind regelmäßiger Konzertgänger. Zu Hause versuchen Sie verzweifelt, das Erlebte zu wieder­holen, was aber nicht recht gelingen will. Weder die Berliner Symphoniker noch die Mick-Jagger- Rentnerkombo wollen ins heimische Wohnzimmer passen. Also suchen Sie Hilfe in Fachpublikationen. Die mutmaßlich verantwortliche Komponente wird ausgetauscht. Es kehrt kurzzeitige Zufriedenheit ein.
Dieser Zyklus wiederholt sich mit beruhigender Regelmäßigkeit und alle sind zufrieden. Sie, weil Sie ein prima Hobby haben. Wir, weil Sie unsere Gazette lesen. Ihr Händler, weil die Kasse klingelt. Friede, Freude, Eierkuchen … bis Sie die Nase voll haben und sich frustriert einem anderen Hobby zuwenden. Es läuft eben doch nicht so rund wie gedacht! Vielleicht liegt es ja an den falschen Er­wartungen …
Als gestandener Highender sind Sie natürlich immer noch der Meinung, dass es zu Hause wie „live“ klingen sollte. Was sollen denn sonst die Jungs von der Selbsthilfegruppe von Ihnen denken? Bereits seit Jahren pilgert man wöchentlich gemeinsam zum ortsansässigen HiFi-Guru, um dort bei einer Pizza zu fachsimpeln und das kaum vorhandene Halbwissen zu vertiefen. Da kann man nicht mal eben den Leitsatz ändern. Ich weiß, wovon ich rede – ich war dabei.
Vielleicht sollten Sie das nächste Treffen einmal in eine Musikkneipe verlegen und dem Thema Erwachsenenbildung widmen. Wenn Sie Glück haben, wird dort gerade Live-Rock-musik gespielt. Positionieren Sie sich in der Nähe des Schlagzeugs. Haben Sie keine Angst, falls Ihnen diese Art der Musik nicht behagt. Es reichen zehn Sekunden, in denen der Schlagzeuger auf seine Drums eindrischt. Alternativ können Sie auch den nächsten Umzug mit Musikkapelle (Karneval, Fasching, Schützenfest …) besuchen. Achten Sie in diesem Fall auf die „dicke Trommel“.
Das dargebotene akustische Feuerwerk wird Sie innerhalb von Sekunden zurück auf den Boden der Tatsachen beamen und vom Traum des Zu-Hause-Live-Erlebnisses kurieren. Allein die Spitzenpegel von bis zu 120 Dezibel würden die meisten HiFi- Lautsprecher sofort röchelnd ins Jenseits befördern. Aber selbst wenn Ihre Anlage dieser Aufgabe gewachsen ist, werden Ihr scheppernder Hörraum oder der Nachbar dem Treiben ein jähes Ende bereiten. Es gibt Ausnahmen – Einsiedler mit großen Hornlautsprechern …
Aber was ist denn nun der Maßstab für hochwertige Musikreproduktion daheim, wenn Live-Musik als Orientierung nicht taugt? Was erwarten Sie, wenn Sie eine Platte auflegen und entspannt in Ihrem Lieblingssessel Platz nehmen? Musikwiedergabe ist eine eigenständige, maßstabgerecht verkleinerte Aufführung eines Werkes in den eigenen vier Wänden. Wie bei jedem Konzert wird sie für den Besucher zum Erlebnis, wenn ihn die Musik begeistert. Die Freude am Dargebotenen ist also der Maßstab. Gut ist, was Spaß macht – so einfach ist das. Es ist wurscht, was der HiFi-Guru sagt oder die Fachpresse schreibt. Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl, auch beim Gerätekauf.
Natürlich gibt es Grenzen. Klingt eine Geige wie ein Saxofon, so existiert ein grundlegendes Problem und es fällt schwer, mit persönlichem Geschmack zu argumentieren. Aber selbst dann … wenn es gefällt und man lieber alleine Musik genießt – bitteschön. Gönnen Sie sich eine eigene Meinung!
Wozu brauche ich denn dann noch FIDELITY? – Wir nehmen Sie bei der Hand und geben Ihnen Ratschläge und Hinweise, verfasst von erfahrenen HiFi-Kennern mit durchaus unter­schiedlichen Meinungen – nicht mehr und nicht weniger. Die Schlüsse daraus müssen Sie aber schon selber ziehen.

 

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Danke für diesen schönen Bericht an Dieter Strecker, Florian Schäfer und an Ingo Schulz, dass ich diesen veröffentlichen durfte. 

Musikalische Grüße,

euer Michael Methe